Mit den richtigen Impulsen nachhaltig gesundes Verhalten bewirken
Nudging in der Gesundheitsförderung – Themenübersicht
Was ist Nudging?
Warum ist Nudging nützlich?
Nudging befasst sich mit zentralen Herausforderungen der Gesundheitsförderung
Wie man Nudging in der Gesundheitsförderung einführt
Beispiele – Wie kann Nudging in der Gesundheitsförderung umgesetzt werden
Nudging in der Gesundheitsförderung
Unsere Gesundheit wird maßgebend von unseren Verhaltensweisen bestimmt. Viele dieser Verhaltensweisen sind durch unbewusste Entscheidungen und Verhaltensmuster geprägt und daher schwer zu ändern. In diesem Artikel beschreiben wir, wie du verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse durch Nudging in der betrieblichen Gesundheitsförderung nutzen kannst, um die Gesundheit deines Unternehmen zu verbessern.
Was ist Nudging?
Nudging leitet sich vom englischen „to nudge“ (anstupsen) ab und bezeichnet Methoden der gezielten Verhaltensänderung ohne den Einsatz von Vorschriften und Anreizen. Maßgeblich beeinflusst wurde diese Praxis von den beiden Wissenschaftlern Richard Thaler und Cass Sunstein und ihrem 2008 erschienenen Buch „Nudging: Improving Decisions About Health, Wealth and Happiness“.
Warum ist Nudging nützlich?
Wir gehen oft davon aus, dass wir Menschen rationale Wesen sind und dass unser Handeln einer bestimmten Logik unterliegt. In der klassischen Volkswirtschaftslehre beispielsweise basieren die meisten Theorien auf dem homo oeconomicus, einer Modellvorstellung vom Menschen als rein rationalem Wesen, das alle Informationen im Blick hat und immer im Sinne der eigenen Nutzenmaximierung handelt.
Es ist seit langem bekannt, dass dieses Menschenbild nicht der Realität entspricht. Tatsächlich treffen wir nur 20 % unserer Entscheidungen bewusst und oft gegen jede Logik. Wir alle wissen zum Beispiel, dass wir ergonomisch sitzen und uns mehr bewegen sollten, sitzen aber trotzdem gebückt vor dem Computer und nehmen lieber den Aufzug als die Treppe. Das liegt nicht daran, dass wir selbstzerstörerisch oder faul sind. Es liegt daran, dass wir jeden Tag mit Tausenden von Entscheidungen konfrontiert werden und die meisten davon (zum Glück) unbewusst treffen. Das Ziel des Nudging ist es daher, unsere physische und immaterielle Umgebung so anzupassen, dass wir unbewusst die „richtige“ Entscheidung treffen.
Nudging befasst sich mit zentralen Herausforderungen der Gesundheitsförderung
Eines der Hauptprobleme vieler Praktiker im Bereich der Gesundheitsförderung ist die geringe Reichweite von BGM-Maßnahmen. Diese erreichen meist die gleichen Mitarbeitenden, welche sich ohnehin bereits stark mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen. Eine Möglichkeit die Teilnehmerzahlen von BGM & BGF-Maßnahmen zu erhöhen ist die Art der Kommunikation zu optimieren. Lese dazu unseren Artikel „BGM-Kommunikation erfolgreich gestalten“. Eine andere Möglichkeit besteht darin, das Verhalten der Mitarbeiter über die klassischen Maßnahmen hinaus durch die Veränderung des physischen und immateriellen Umfelds, d.h. durch Nudges, zu verändern. Der Vorteil von Nudging ist, dass es an der „Programmierung unseres Gehirns“ und damit an automatischen Mustern ansetzt und daher weitgehend losgelöst von intraindividuellen Unterschieden funktioniert. Bildungsangebote, die auf Informations- und Wissensvermittlung beruhen, erfordern bewusste Wahrnehmung und müssen mit begrenzten kognitiven Ressourcen verarbeitet werden. Daraus resultiert eine soziale Selektion, die sich z. B. in einer geringeren Teilnahmequote unterer sozialer Schichten manifestiert. Hinzu kommt, dass die kognitiven Ressourcen in der Regel auf Dinge gerichtet sind, die für die Erfüllung des Arbeitsziels relevant sind, was die Wirkung von Bildungsangeboten im Arbeitsalltag reduziert.
Wie man Nudging in der Gesundheitsförderung einführt?
Zwei Modelle haben sich durchgesetzt: das MINDSPACE-Modell und seine spätere Weiterentwicklung, das EAST-Modell. Beide Konzepte wurden vom Behavioural Insights Team (BIT) für den praktischen Einsatz von verhaltenswissenschaftlichen Maßnahmen entwickelt. EAST ist ein Akronym und steht für Easy, Attractive, Social und Timely. Es beschreibt, dass Interventionen einfach, niedrigschwellig, attraktiv, sozial und zeitlich gut abgestimmt sein sollten, um das Verhalten von Menschen zu ändern. Mehr über das MINDSPACE- und EAST-Modell sowie ein Handbuch zum Herunterladen findest du hier.
AEIOU-Modell
Das AEIOU-Modell ist im Wesentlichen das deutschsprachige Pendant zu den vorgenannten Modellen, bezieht sich aber explizit auf Nudging in der Gesundheitsförderung. Es wurde von Mathias Krisam und Eva Kuhn entwickelt.
A – Ansprache:
- Visuelle Elemente
- Personalisierung
- Emotionsbasierte Kommunikation
- Attraktive Nemensgebung
E – Einfachheit:
- Einfache Sprache
- Einfach und Bequem
- Zeitlich passend
- Positionierung
- Standardoption
I – Incentivierung:
- Belohnung / Sanktion
- Spielersiche Elemente und Wettkämpfe
- Lob
O – Orientierung:
- Soziale Normen & Vergleiche
- Soziale Unterstützung & Vorbilder
- Verbindlichkeit
U – Unmittelbarkeit:
- Erinnerungen
- Prompting
- Handlungsführung
- Planungsunterstützung und Ziele unterteilen
- Kurzfristige Vorteile
Beispiele – Wie kann Nudging in der Gesundheitsförderung umgesetzt werden
Visuelle Elemente:
- Bilder, insbesondere bewegte Bilder, ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich und werden schneller verstanden als Text.
- Wenn du z. B. in einer E-Mail auf neue Yogakurse aufmerksam machen willstt, sollte zu jedem Angebot ein entsprechendes Bild aufgeführt werden, so dass allein durch den Blick darauf klar wird, was angeboten wird.
Personalisierung:
- Die persönliche Ansprache des Empfängers und die klare Nennung des Absenders erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Nachricht gelesen wird.
- Versuche bspw. E-Mails aus dem betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) zu personalisieren (Sehr geehrte Frau Müller; Hallo Sabine) und sende die E-Mails über eine einer Person zugeordnete Mailadresse und nicht über eine allgemeine Adresse wie gesundheitsförderung@unternehmen.de.
Emotionsbasierte Kommunikation:
- Wie in der klassischen Werbung funktioniert die Ansprache am besten, wenn sie Emotionen weckt und auf die Bedürfnisse der Empfänger eingeht.
Attraktivität der Namensgebung:
- Bestehende Angebote welche schlecht wahrgenommen werden, können umbenannt werden. Ein neuer, zielgruppengerechter Name für ein Angebot kann die Attraktivität des Angebots erhöhen.
Einfache Sprache:
- Nach dem Kiss-Prinzip: „Keep it short and simple“. Wir sind täglich einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt und oft werden Informationen überflogen und selektiv wahrgenommen. Je prägnanter die Ansprache, desto besser.
- E-Mails sind ein gutes Beispiel. Wir erhalten jeden Tag viele davon, und viele sind irrelevant. Was nicht sofort als relevant eingestuft wird, wird in der Regel nicht gelesen.
Einfach und bequem:
- Je einfacher ein Verhalten ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es auch ausgeführt wird.
- Der digitale Gesundheitscoach ISA folgt genau diesem Prinzip der Niederschwelligkeit, indem er z.B. selbstständig eine Reihe von Übungen vorschlägt, die in weniger als 2 Minuten am Schreibtisch erledigt werden können.
Zeitlich passend:
- Es gibt schlechte und gute Momente für Gesundheitsangebote, die bei der Planung berücksichtigt werden sollten. Achte auf den Zeitplan der Beteiligten.
- So ist beispielsweise die Zeit vor den Sommerferien weniger geeignet, da die meisten Menschen dort viel zu tun haben.
Positionierung:
- Supermärkte nutzen diese Methode und platzieren teure Markenprodukte auf Augenhöhe, wo sie gut sichtbar sind. Nutze die Sichtbarkeit durch eine gute Positionierung aus.
- Wenn du z. B. deine Mitarbeiter dazu motivieren willst, häufiger die Treppe zu benutzen, versehe die Treppe mit Aufklebern, die den zusätzlichen Kalorienverbrauch pro Stufe angeben.
Standardoption:
- Wechsel von Opt-in zu Opt-out! Haben Mitarbeitende die Wahl zwischen einer gesunden und ungesunden Option mache die gesunde zur Standardoption, welche gilt wenn keine Entscheidung getroffen wird.
- Wenn du willst, dass die Mitarbeitenden in der Kantine mehr Obst essen, könntest du z.B. einen Apfel als Standard in die Menüs aufnehmen, so dass sich die Mitarbeiter aktiv dagegen entscheiden müssen, wenn sie kein Obst möchten.
Belohnungen:
- Anreize, die mit einem bestimmten Verhalten verbunden sind, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhalten auftritt.
- Teilnehmerzertifikate, finanzielle Anreize oder Gesundheitspunkte, welche gegen Benefits eingetauscht werden können.
Gamifizierung:
- Gerade am Anfang sind gesunde Verhaltensweisen oft nicht von Freude geprägt. Spielerische Elemente sorgen für den nötigen Spaßfaktor und regen unser Wettbewerbsverhalten an.
- Wenn für die Teilnahme an Gesundheitsangeboten Punkte vergeben werden, können anonyme Listen geführt werden, z.B. durch einen Gruppen-Score.
Loben:
- Soziale Verstärkung in Form von Lob sorgt für Dopaminausschüttung in unserem Gehirn und wirkt somit als natürlicher Verstärker für gelobtes Verhalten. Wichtig ist die zeitliche Nähe zum gelobten Verhalten
- Hänge z. B. auf jeder Etage des Treppenhauses ein Poster mit einer positiven Botschaft für diejenigen auf, die die Treppe benutzt haben.
Soziale Normen / soziale Vergleiche:
- Individuelles Verhalten wird stark von der Umwelt beeinflusst, d. h. Menschen vergleichen ihr eigenes Verhalten mit dem anderer. In der Regel werden jene Verhaltensweisen angenommen, die von der Mehrheit einer sozialen Gruppe gezeigt werden. Wir orientieren uns also an den sozialen Normen.
- Eine Möglichkeit, sich dies zunutze zu machen, ist die Einbeziehung von Zahlen in das Kommunikationsmaterial, z. B. „mehr als 1000 Büroangestellte nutzen bereits dieses Angebot“.
Soziale Unterstützung und Vorbilder:
- Je mehr man sich mit einer Person identifiziert und je höher ihr sozialer Status ist, desto mehr beeinflusst sie unser Verhalten. Nutze Meinungsführer, Vorbilder und Führungspersonen.
- Du kannst solche Schlüsselfiguren ansprechen und sie in deine Kampagnen einbeziehen, indem diese Personen sich öffentlich für Angebote aussprechen, sich dafür anmelden oder dafür werben.
Verbindlichkeit:
- (Öffentliche) Bekenntnisse zu Zielen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihnen treu bleiben.
- Biete Teilnehmern von Gesundheitsangeboten die Möglichkeit, sich Ziele zu setzen und diese aufzuschreiben oder mit anderen zu teilen.
Erinnerungen:
- Wie eingangs erwähnt, treffen wir die meisten unserer Entscheidungen unbewusst, so dass viele Verhaltensweisen automatisch ablaufen. Erinnerungen können dies durchbrechen und helfen, neue Routinen zu schaffen.
- Erinnere die Menschen mit Flyern, E-Mails oder Push-Nachrichten in Gesundheits-Apps an gesunde Verhaltensweisen und Angebote. Der digitale Gesundheitscoach ISA erinnert zum Beispiel regelmäßig daran, ausreichend Wasser zu trinken oder daran einen Stehtisch zu nutzen.
Prompting:
- Prompts sind eine spezielle Art der Erinnerung, die genau dann ausgespielt wird, wenn eine bestimmte Entscheidung getroffen oder ein bestimmtes Verhalten gezeigt werden soll.
- Meistens nutzen digitale Angebote wie Gesundheits-Apps diese Art der Erinnerung. Der digitale Gesundheitscoach ISA erkennt beispielsweise eine schlechte Körperhaltung und erinnert in Echtzeit daran, die Haltung zu ändern.
Zur Handlung führen:
- Um neue Verhaltensweisen zu erlernen, bedarf es “ einer gewissen Führung von außen“
- Unterstütze die Mitarbeitenden, indem du auf ihre individuellen Präferenzen eingehst.
Planungsunterstützung / Ziele in Zwischenziele unterteilen:
- Gerade bei komplexen Verhaltensweisen ist es wichtig, Zwischenziele zu setzen und die Schritte zu deren Erreichung zu planen. Das Erreichen von Zwischenzielen erhöht die Selbstwirksamkeit und kann zusätzlich durch Belohnungen verstärkt werden.
- Wenn das Ziel beispielsweise darin besteht, die körperliche Aktivität zu steigern, können Zwischenziele wie der Verzicht auf den Aufzug definiert und belohnt werden.
(kurzfristige) Vorteile:
- Langfristige Ziele wie die Vermeidung von Gesundheitsproblemen im Alter zahlen sich oft erst spät aus. Um die Motivation nicht zu verlieren, sollten kurzfristige Vorteile geschaffen und hervorgehoben werden.
- Im Rahmen einer Informationskampagne können beispielsweise neben zukünftigen gesundheitlichen Vorteilen auch unmittelbare Vorteile genannt werden (z.B. Stimmungsaufhellung durch Dopamin beim Sport oder bessere Leistung nach dem Sport).
Quellen und weiterführende Artikel